FRIEDEN FÜR ISRAEL?

 


30. Juli 1980: Das israelische Parlament die Knesseth, beschließt in der zweiten und dritten Lesung ein »Grundgesetz«, durch das Jerusalem in seiner Gesamtheit zur Hauptstadt Israels erklärt wird. Ein Strom internationaler Empörung bricht sich Bahn. Der Patriarch der römisch-katholischen Kirche des Orients spricht sich ebenso gegen die Annexion des arabischen Ostteils der Stadt aus wie der Kirchenrat des Nahen Ostens zum Abschluß einer Sondertagung in Damaskus. Irak, Saudi-Arabien, Jordanien, Kuweit und andere arabische Länder kündigen diplomatische und ökonomische Sanktionen gegen jene Staaten an, die Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen. Das Jerusalem-Komitee, dem dreizehn Länder und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) angehören, fordert in Casablanca eine außerordentliche Tagung der Außenminister der islamischen Staaten. Am 20. August erklärt der UN-Sicherheitsrat den Beschluß der Knesseth als »Verletzung des Völkerrechts« für null und nichtig. Daraufhin beschließt die niederländische Regierung, ihre Botschaft von Jerusalem nach Tel Aviv zu verlegen. Weitere Staaten folgen diesem Schritt.

Was veranlaßte so unterschiedliche politische und religiöse Kräfte, ihre Stimme zum Protest zu erheben? Gehört es nicht zu den inneren Angelegenheiten eines Staates, seine Hauptstadt selbst zu bestimmen? Selbstverständlich. Aber für das Stadtgebiet von Jerusalem gibt es internationale Regelungen. Es gehört somit nicht in den alleinigen Kompetenzbereich Israels. Denn nach dem zweiten Weltkrieg hat sich das Jerusalem-Problem zu einem festen Bestandteil der nach wie vor ungelösten Palästinafrage und des latent schwelenden Nahostkonflikts entwickelt. Folglich ist sein Stellenwert wie seine Lösung in der Gegenwart eingebettet in den Rückzug der israelischen Truppen aus allen 1967 okkupierten arabischen Gebieten, in den Kampf des arabischen Volkes von Palästina um die Verwirklichung seines Selbstbestimmungsrechts, in die Auseinandersetzungen um international anerkannte und gewährleistete Grenzen aller Staaten der Region, kurzum, in die Bemühungen um eine gerechte und dauerhafte Friedensregelung für den Nahen Osten. Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß Jerusalem als das historisch entstandene Zentrum Palästinas untrennbar mit der Herausbildung und Entwicklung der Gemeinschaften und Lehren der drei monotheistischen Religionen - des Judentums, des Christentums und des Islams — verbunden ist.


Ein Blick in die Geschichte

Jerusalem gehört zu den ältesten Siedlungen Palästinas. Bereits um 1400 v. u. Z. wurde es schriftlich in Dokumenten aus Ägypten erwähnt. Der Ort, der nur 52 km in Luftlinie vom Mittelmeer entfernt ist und über 750 m hoch liegt, gab den Bewohnern durch seine schroffen, von Tälern durchschnittenen Felsen guten Schutz und durch die Ölbaumhaine der Umgebung Oliven und Öl als Grundlage für Nahrung und Handel. Ein kanaanäischer Stamm lebte hier, bevor König David mit seinen israelischen Kriegern diese befestigte Ansiedlung um 1000 v.u.Z. eroberte. Er und sein Sohn Salomo bauten sie zur Hauptstadt des Königreichs Israel aus. Besonderen Ruhm gewann der Tempel, den Salomo auf dem nordöstlichen Felsen errichten ließ, wo wahrscheinlich schon seit Urzeiten die Götter verehrt wurden. Der Tempel beherbergte das israelitische Bundesheiligtum, die Lade, und war damit auch der Wohnort ihres Gottes Jahwe. Dieser Bau wurde in den folgenden Jahrhunderten zum alleinigen kultischen Zentrum des israelitischen Glaubens, bis ihn die Babylonier 586 v. u. Z mit der Stadt dem Erdboden gleichmachten und die Bewohner in die Gefangenschaft wegfuhren. 

Erst Jahrzehnte später konnten diese zurückkehren und den Tempel wieder errichten. Später baute ihn König Herodes um die Zeitenwende prächtiger als je zuvor als Zierde seiner Stadt auf. Dieser Gebäudekomplex stand jedoch nicht lange. Im Jahre 70 u.Z. drangen römische Truppen in Jerusalem ein und rissen das Heiligtum nieder, um so den endgültigen Sieg über die Juden Palästinas zu verdeutlichen. Diese durften den ihnen so heiligen Ort dann nicht mehr betreten. Als Kaufleute und Handwerker verstreuten sie sich im Römischen Reich und jenseits seiner Grenzen. Doch ihre religiösen Schriften wie sie insbesondere im Alten Testament der Bibel enthalten sind, erinnerten sie an die verlorene Heimat und nährten die Sehnsucht nach ihr. Seit dem 7. Jahrhundert bezogen sich also Angehörige dreier Religionen — Juden, Christen und Muslims - auf die palästinensische Stadt Jerusalem. Für keinen von ihnen bildete der tatsächliche Besitz des Ortes einen unverzichtbaren Bestandteil des Glaubens. Unzählige Gläubige suchten diese Stätte als Pilger auf. »Kein Tag verging, ohne daß Fremde ankamen«, bemerkte der berühmte arabische Geograph al-Mukaddasi im 10. Jh. Doch blieb es nicht bei solchen frommen Übungen, wie sie im Mittelalter weit verbreitet waren. Einem Aufruf des Papstes folgend, drangen im 11. Jh. europäische Feudalheere im Nahen Osten ein und eroberten 1099 auch die Stadt. 

Sie vertrieben und töteten die muslimischen und jüdischen Bewohner und errichteten hier das »Reich von Jerusalem«. Mit den umgebenden Ländern der Muslims war es in ständige Kriege zur Expansion verstrickt bis zuletzt die islamischen Feudalen unter Sultan Saladin siegten, der 1187 Jerusalem wieder einnahm. Die Ideologie der Kreuzfahrer aus Europa war vorerst gescheitert. Der Anspruch, zum »Schutze der heiligen Stätten« des Christentums sei der Besitz des Landes selbst und die Vertreibung der »ungläubigen« Einwohner von dort nötig, konnte nicht aufrechterhalten werden. Doch ähnliche Vorstellungen lebten über die Jahrhunderte fort, während in der Stadt selbst muslimische und christliche Araber, Juden und zahlreiche meist christliche Ausländer zusammen lebten.

Unter den Losungen des politischen Zionismus betrieben sie die Einwanderung und Ansiedlung von Juden in Palästina und verlangten die Errichtung einer »jüdischen Heimstatt«, also eines besonderen jüdischen Staates, dessen Zentrum natürlich Jerusalem sein sollte. »Daß ein freies Volk wir werden in unserem Land, im Lande Zions und Jerusalems«, heißt es in einem berühmten Zionistenlied, der heutigen Nationalhymne Israels. Die Frage nach dem Schicksal der einheimischen Araber, ob sie nun muslimischen oder christlichen Glaubens waren, und der existierenden Besitzverhältnisse gab es für die Zionisten nicht. Von imperialistischen Mächten letztlich gefördert und von jüdischen Kapitalisten reichlich unterstützt, kamen immer mehr Juden auch nach Jerusalem. Während 1918 neben 30000 Arabern 10000 Juden in der Stadt lebten, waren es 1948 neben 140000 Arabern bereits 100000 Juden. Vor allem westlich der Altstadt entstanden zahlreiche jüdische Siedlungen, wurden immer mehr Araber vertrieben. All das geschah zu einer Zeit, als in Palästina ein britisches Mandat bestand, das errichtet worden war, nachdem britische Truppen 1917 Jerusalem besetzt und die türkischen Truppen aus Palästina verjagt hatten. Gegen die britische Kolonialmacht wie gegen die massiven Expansionsgelüste der Zionisten richtete sich die nationale arabische Bewegung, die seit den zwanziger Jahren einen Aufschwung erlebte. Jerusalem war eines ihrer bedeutendsten Zentren, nicht nur bei den bewaffneten Auseinandersetzungen mit ihren Gegnern, sondern auch als Stätte intensiven politischen, ideologischen und literarischen Lebens. Gleichzeitig wuchs auch die organisierte Hilfe islamischer Kreise für die Muslims in Jerusalem als ein Faktor der Unterstützung des antikolonialen und antizionistischen Kampfes sowie der Solidarität innerhalb der Religionsgemeinschaft.

 

UN- Vorschlag für Jerusalem

Nach dem zweiten Weltkrieg sah sich die britische Mandatsmacht nicht in der Lage, die von ihr selbst unter kolonialen Vorzeichen verursachte Palästinafrage beizulegen. Ohne fähig noch gewillt zu sein, eine gerechte demokratische Lösung vorzuschlagen, die sowohl den eigenen als auch den Interessen des amerikanischen Rivalen entsprochen und zugleich die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Palästina beendet hätte, übergab Großbritannien sein vom Völkerbund erhaltenes Mandat im Frühjahr 1947 den Vereinten Nationen. Die damals nicht ganz sechzig Mitglieder umfassende UNO sah sich somit vor die Aufgabe gestellt, eine Entscheidung entsprechend ihrer Charta zu fällen. Das Ergebnis komplizierter Verhandlungen, in denen die zionistische Jewish Agency und das feudalbürgerliche Arabische Hochkomitee als Vertreter der palästinensischen Araber gleichermaßen gehört wurden, war der sogenannte Teilungsbeschluß vom 29. November 1947. Er empfahl neben der Gründung eines arabischen und eines jüdischen Staates die Einrichtung eines internationalen Sonderregimes für Jerusalem. Die als Korpus Separatum bezeichnete entmilitarisierte und neutralisierte Zone von Jerusalem — ungefähr 68 Quadratmeilen — sollte aufgrund der »einzigartigen geistigen und religiösen Bedeutung, die der Stadt in der ganzen Welt von den drei großen monotheistischen Glaubensbekenntnissen zugemessen wird«, vorerst für zehn Jahre von der UNO verwaltet werden. Der Teilungsplan der Vereinten Nationen fand aber nicht die Zustimmung der Arabischen Liga und des Arabischen Hochkomitees. Sie waren nicht bereit, die vorwiegend vom britischen Imperialismus und politischen Zionismus neugeschaffenen Realitäten in Palästina anzuerkennen. Als daher am 14. Mai 1948, dem Tag der offiziellen Beendigung des Mandats, der Staat Israel einseitig proklamiert wurde, kam es zum ersten Nahostkrieg. Er endete mit einer Niederlage der arabischen Seite auf Kosten des palästinensischen Volkes.  

Israel kontrollierte nunmehr 77,4% der vom Teilungsplan der UNO erfaßten Territorien einschließlich des westlichen Teils von Jerusalem. Den östlichen Teil der Stadt okkupierte zusammen mit dem Westjordanland der haschemitische Monarch Abdullah von Transjordanien. Die Waffenstillstandsgrenze von 1949 teilte Jerusalem nicht nur politisch in zwei Hälften. Auch ökonomisch und hinsichtlich der Heiligtümer wurde die Stadt gespalten. Während die vom jordanischen Regime annektierte Altstadt den Felsendom, die Grabeskirche, die al-Aksa-Moschee und die Klagemauer in ihren Mauern einschloß, lag das Grab König Davids auf dem Berge Zion z. B. im von Israel besetzten Westteil. Die Teilung Jerusalems im Ergebnis des ersten israelisch-arabischen Krieges ließ schon frühzeitig die Vermutung aufkommen, daß den Problemen der Stadt fortan ein spezifisches Gewicht im Nahostkonflikt zukommen würde. Die Ursachen dafür lagen aber weniger im religiösen als vielmehr im politischen Bereich. Eine drastische Verschärfung des Jerusalem Problems hatte die israelische Aggression vom 5. Juni 1967 zur Folge. Der mit blitzkriegähnlichen Methoden geführte Sechstagekrieg richtete sich in Abstimmung mit den imperialistischen Hauptmächten vor allem gegen die nationaldemokratischen Regimes in Ägypten und Syrien. Er sollte aber auch den zionistischen Absichten nach territorialer Expansion des vor allem mit Hilfe der USA aufgerüsteten Israels dienen. Diese Zielstellung wurde nach der Besetzung des gesamten ehemaligen Mandatsgebiets von Palästina, der syrischen Golanhöhen und der ägyptischen Sinai-Halbinsel besonders bei Jerusalem deutlich. Durch ein Ermächtigungsgesetz der Knesseth vom 27. Juni 1967 dehnte Israel »das Recht, die rechtliche und vollziehende Gewalt« gleichzeitig verabschiedete Novelle zum Städtegesetz ermächtigte den israelischen Innenminister, Ost- und Westjerusalem zu einer Stadtgemeinde zusammenzuschließen. Die arabische Verwaltung wurde aufgelöst, die physischen Barrieren der geteilten Stadt wurden beseitigt und die Wasser- und Abwassersysteme sowie Elektrizitäts- und Telefon netze zu einem einheitlichen Ganzen verbunden. Unter der Flagge einer »kommunalen Vereinigung« vollzog Israel damit eine de-facto Annexion. Vor diesem Hintergrund forcierte es nunmehr den Ausbau der gesamten Stadt als Zentrum des israelischen Staates. 

Mit der totalen Integration des Jerusalem Problems in den Nahostkonflikt nahm auch die Palästinafrage neue Dimensionen an, wie sie nicht nur an der israelischen Okkupation des Gaza-Streifens und des Westjordanlandes mit der Jerusalemer Altstadt abzulesen sind. Die palästinensische Befreiungsbewegung erlebte eine Wiedergeburt und Neuprofilierung. Mit der PLO formierte sich seit 1968 eine Dachorganisation vorn Typ einer nationalen Einheitsfront, die als einziger politischer Repräsentant für sich in Anspruch nehmen kann, die Gesamtinteressen des arabischen Volkes von Palästina zu vertreten. Ihre Konzeption von der Errichtung eines unabhängigen, demokratischen palästinensischen Nationalstaates fand deshalb auch Berücksichtigung in den von der Sowjetunion unterbreiteten Vorschlägen für eine Lösung des Nahostkönflikts. Diese orientieren auf den Abzug der israelischen Truppen aus allen 1967 besetzten Gebieten, auf die Anerkennung der nationalen Rechte des palästinensischen Volkes einschließlich seines Rechts auf Eigenstaatlichkeit und auf palästinensischer Bevölkerung und die Errichtung zionistischer Siedlungskomplexe rund um die Stadt. Nach der völkerrechtswidrigen Eingliederung des östlichen Teils der Stadt in das Staatsterritorium Israels durch den Knessethbeschluß von 1980 warteten Politiker, Wissenschaftler und Journalisten unterschiedlichster politischer und religiöser Tendenz mit verschiedenen Varianten für eine Lösung des Jerusalem-Problems auf. Sie reichen von einem internationalen Status nach dem Vorbild des UN-Teilungsplanes von 1947 über die erneute Teilung der Stadt oder ein palästinensisch-israelisches Kondominat bis hin zu einer teilweisen, sich nur auf die »Heiligen Stätten« beziehenden Internationalisierung. Auch in Israel hält die Diskussion um Jerusalem an. Während die Zionisten, die mit den Stimmen des Likud-Blocks und des sozialdemokratischen Arbeiterblocks die Annexion Jerusalems beschlossen, bemüht sind, den Status quo zu rechtfertigen, stellte beispielsweise Meir Vilner, der Generalsekretär der KP Israels, in der Knesseth fest: »Der arabische Teil Jerusalems ist Teil des Westufers, des künftigen palästinensischen Staates. Die Souveränität des arabischen Teils von Jerusalem muß palästinensisch-arabisch und die des westlichen Teils israelisch sein.« 

Alle Details einer befriedigenden Lösung des Jerusalem-Problems sind jedoch so fest in den Grundlagen des Nahostkonflikts und der Palästinafrage verwurzelt, daß ihre separate Erörterung stets nur hypothetischen Charakter tragen kann. Diejenigen, die wahrhaft an einer Beseitigung des Krisenherdes interessiert sind, unter ihnen die sozialistischen Staaten, sehen deshalb Jerusalem als Teilaspekt einer komplexen Friedenssicherung für den Nahen Osten an.

Autorenkollektiv   —


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